Ghost Trick: Phantom-Detektiv
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Ghost Trick: Phantom-Detektiv -
Review vom 31.01.2011
An der Schwelle zwischen Leben und Tod ist immer was los: In Clint Eastwoods Mystery-Streifen „Hereafter“ z.B. versuchen Menschen mit ihrer verstorbenen Verwandtschaft zu plaudern und in „Paranormal Activity“ vertauscht ein Geist vor laufender Kamera einfach das Besteck. Unerhört! Sogar Jonathan Frakes versucht jedes Wochenende noch, dem „Unfassbaren“ auf die Schliche zu kommen - doch nur mit plakativen „Wahr“- oder „Falsch“-Stickern lassen sich all diese Geistertricks kaum fassen... Vielleicht sollten wir das Medium wechseln?
Auch der langjährige Ace Attorney-Vater und Capcom-Producer Shu Takumi strickte nämlich kürzlich ein Nintendo DS-Spiel um diese mysteriösen Grundthematiken - Ansatzpunkt für uns! „Ghost Trick: Phantom-Detektiv“ greift zahlreiche Ideen und Erzählstrukturen aus den Gerichtssälen von Phoenix Wright & Konsorten auf, die dort unerzählt freigesprochen wurden. Nun verschlägt es den Spieler in eine eigene Welt, in der Hauptfigur Sissel neben seinem Gedächtnis, seinem Mörder und der nächsten Textbox auch wichtige Hinweise in zahlreichen Todesfällen ausfindig machen muss. Klingt spannend! Hat das geheimnisvolle „weder Point noch Click“-Adventure mit Mystery-Touch und Lachmuskel-Funktion aber auch das Zeug zum Hit!? Und das 2011, kurz bevor der Nintendo DS selbst nur noch eine geistige Hülle sein wird?
Eine Reihe betrüblicher Ereignisse
Im Totenreich geben sich die Geister gegenseitig die Klinke in die Hand. Der soeben gestorbene Sissel ist wohl eher Newbie in dieser illustren Gespenstergesellschaft, beißt er doch bei Spielbeginn auf einem Schrottplatz ins verschimmelte Gras. Leider geht es auch seiner geistigen Hülle kaum besser, ohne Erinnerung an eine frühere Identität! Außerdem bleibt Sissel (und uns) nur bis zum Morgengrauen Zeit, Antworten zu finden - dann hören untote Seelen angeblich auf zu existieren. So erörtert es jedenfalls Geisterkollege „Ray“.
Während dieser einleitenden Worte findet direkt vor unseren Augen das nächste Verbrechen statt: Ein schwarzgekleideter Agent hat's auf die rothaarige Lynne abgesehen. Zeit für das Tutorial! Als auserwählter Geist sind uns nämlich die Kräfte der Toten gegeben - so genannte „Geistertricks“, welche sich im Spielverlauf noch dezent erweitern. Mit einem Klick auf „Ghost“ haltet ihr die Zeit an und wechselt in die parallele Geisterwelt, in der sich Sissels Seele per Touchpad über Kerne manövrieren lässt, also über leuchtende Punkte einiger (nicht aller!) unbelebter Gegenstände. Zurück in der Realität löst nun die Schaltfläche „Trick“ eine Aktion mit dem jeweiligen Objekt aus, von dem ihr eigensinnig Besitz ergriffen habt.
So beginnen -wie von Geisterhand!- Gitarren zu spielen, Schranktüren aufzugehen und Kerzen aufzuleuchten, womit sich die Umwelt beeinflussen lässt. Auch potentielle Mörder könnt ihr aufschrecken und Opfer dadurch warnen. Clevere Gameplay-Strategie! Hinzu kommt, dass Sissels Seele nur in begrenztem Umfang auf Kerne zugreifen kann - ihr müsst euch also förmlich an den Kernen entlanghangeln und beispielsweise ein Rollo ausrollen, um näher an den nächstbesten Anknüpfpunkt heranzukommen.
Geh' zurück auf Los und ziehe keine 4.000 DM ein...
Der krönende Geistertrick: Soeben gestorbene Figuren weisen einen spezielleren Kern auf, über den ihr vier Minuten vor ihren Tod reisen könnt. Natürlich -der hilfsbereite Videospieler ahnt es schon-, um ihnen mit manipulativen Geistertricks den Hintern zu retten und eine neue Gegenwart zu schaffen. Soweit das spaßige Grundprinzip, das euch ziemlich geradlinig am Drehbuch hält und für manchen Geschmack zu wenig Eigeninitiative erlaubt - immerhin reichen einem die Charaktere auch noch Hinweis-Happen, um die korrekten Schritte durchzuführen. Diese tauchen in Sprechblasen auf, welche ihr berühren und dann die vollständigen Gespräche (nochmals) mithören dürft - nützlich! In längeren Gesprächen könnt ihr über Schaltflächen weiterhin aus einigen Themen wählen, was bequatscht werden soll. Ignoriert ihr die besagten Sprechblasen, verstreichen eure vier tödlichen Minuten rascher - auch nützlich, z.B. wenn ihr beim ersten Mal einen Fehler begangen habt.
Das passiert zuweilen (und ist oftmals sogar gewollt, damit Sissel & Co. vorschnelle Rettungsversuche noch witzig-makaber kommentieren können). Dadurch, dass sich aber jederzeit ein erneuter Versuch (auch an zwischengespeicherter Stelle) anschließen und die Zeit zurückdrehen lässt, fällt der gefürchtete Zeitdruck-Charakter nicht so schwer ins Gewicht. Sowieso: Das unkonventionelle Zeitreise-Adventure ist, wenige unklar gestellte Aufgaben ausgenommen, sehr fair. Teilweise wird gegen Ende sogar zu wenig Kombinationsgabe gefordert - denn es bleibt nahezu bei den erwähnten Spielmechaniken um Sissels Seelenwanderei.
Unterwegs führt es den Phantom-Dektektiv an vielen Leichen, Intrigen und Verbrechenskandidaten vorbei, deren Schicksale miteinander verwoben sind - bereits aufgedeckte Infos zu allen Figuren werden übrigens per Akte aufgeführt. Die mysteriöse Krimi-Handlung wird innerhalb der 18 Kapitel immer abgedrehter und erreicht im Finale schon „Inception“-Charakter - überraschend für ein DS-Spiel!
„UNvergleichlich, Baby!“
Eine wichtige Rolle im Geisterwelt-Gameplay stellt das Timing dar: Es gilt, seine Umwelt nebst den handelnden Charakteren genau zu beobachten - und im rechten Augenblick die Zeit stoppen! Beispielsweise, um sich an ein gerade weggeworfenes Papierknäuel zu heften oder um an herabfallenden Regentropfen nach oben zu „klettern“... Originell! Reicht das aber, um innerhalb der Spielstadt zwischen Restaurant und Polizeirevier zu wechseln?! Für diese Entfernungen gibt es die gute alte Telekom - naja, zumindest lässt Capcom den Hauptdarsteller per Telefonleitung herumreisen. Neue Nummern werden wählscheibenartig erfasst, sobald ihr ein Telefongespräch mithört.
Weitere Spielstärken offenbaren sich im perfekten Comic-Design, das ironische und charaktertypische Sprüche, Redeweisen oder Geräusche den jeweiligen Akteuren zuordnet. Ohne zu viel zu verraten: Euch erwarten urkomische und verdächtige Personen, die alle ein Geheimnis zu hüten scheinen...
Steuerung:
Textboxen abklicken - diese Schwerstarbeit beansprucht prozentual wohl den größten Anteil eures Einfühlungsvermögens. Ihr könnt dabei das ganze geistreiche Abenteuer via Stylus durchstehen. Das klappt auch sehr gut, weil echte Steuerungsaufgaben nur in der Geisterwelt gefordert sind, wenn ihr Sissels Seele zwischen den leblosen Gegenständen hin- und herschieben müsst. Mittels Stylus könnt ihr den Charakteren auch ausufernde Dialoge oder ergiebige Gedanken entlocken, wenn ihr die ständig auftauchenden Gedankenblasen berührt. Zur besseren Übersicht lässt sich der Bildschirmausschnitt mit Steuerkreuz oder abermals Stylus verschieben. Etwas umständlich hierbei, dass das nur in der realen Welt geht - denn während man sich neugierig in allen Ecken umschaut, verpasst ihr vielleicht am Hauptschauplatz bereits das Timing.
Grafik:
Die optische Gesamtdarstellung versprüht tatsächlich die Atmosphäre einer Theateraufführung, wie Takumi gegenüber PlanetDS.de im Interview andeutete - was vielleicht auch an der zweidimensionalen, bühnenartigen Ansicht liegt. Auf den ersten Blick schauen die zwielichtigen Mystery-Akteure aber arg verpixelt aus - gerade auf dem DSi XL sind etwaige Details an Kleidung oder Mimik nicht auszumachen und am ehesten noch mit frühzeitigen Point & Click-Gespenstern aus „Black Mirror“ vergleichbar. Dafür agieren die schrägen Charakter-Vögel in butterweichen und sehr individuellen Animationen: Ein Inspektor tänzelt durch die Tatorte, Kommissarin Lynne beweist akrobatische Selbstbeherrschung bei einer Rettungsaktion und Hündchen Rakete bellt enthusiastisch den Fernsehapparat an. Schick! Ebenfalls frech und frisch sind die farbenfroh bis düsteren Hintergründe designt - Schrottplatz oder Hühnchen-Restaurant, hier spürt man Comic-Verbrechern gerne nach.
Sound:
...ist vorhanden! Allerdings gibt's keine Sprachausgabe, welche den charakterstarken Personen und Geistern noch eindrucksvoller Leben eingehaucht hätte. Schade - die deutsche Übersetzung kann sich nämlich sehen bzw. lesen lassen. Trotzdem verschönert die Akustik über weite Strecken den überzeugenden Adventure-Auftritt: Allein der elektronische Trailer-Soundtrack wirkt stark aufmunternd und passt gut zum Gameplay, bei dem ihr schließlich oftmals unter Zeitdruck steht. Apropos: Ist ein Großteil der Zeit bei einer Rettungsaktion verstrichen, beschleunigt auch die Musik. Ansonsten bekommt nahezu jede Figur einen eigenen, coolen Hintergrundklang spendiert, wenn ihr geistreiche Gespräche mit ihnen führt. Andere Soundeffekte und Melodien reißen weniger vom sprichwörtlichen Hocker - grundsätzlich spielt es sich mit aufgedrehtem Sound aber wesentlich authentischer.
Features:
Totenstille in dieser Sektion: Nicht nur, dass es lediglich einen (!) Speicherplatz gibt, auch ansonsten lenkt das Hauptmenü nicht vom eigentlichen Spiel ab... Zumindest könnt ihr Sonnenbrillen-Geist Sissel hier in bereits absolvierte Kapitel zurückschicken. Ein paar Extras wären nun dennoch wünschenswert gewesen: Je nach Können fesselt Capcoms Mystery-Adventure nämlich nur knapp zehn Stunden. Wer sich Zeit beim Lesen und Grübeln lässt oder einige Sterbesequenzen mehrere Male durchlaufen muss, eh das richtige Timing erwischt oder der fehlende Hinweis gefunden ist, braucht entsprechend länger.
Fazit:
Mit „Ghost Trick: Phantom-Detektiv“ ist Capcoms Mastermind Shu Takumi ein kleines Adventure-Juwel geglückt - und das nicht etwa aufgrund blendender Zwischensequenzen oder echter Sprachausgabe. Dafür stehen die spannungsgeladene Mystery-Story und die ulkigen Charaktere im Rampenlicht. Besonders gelungen sind auch die selbstironischen Kommentierungen, beispielsweise von Dauer-Todeskandidatin Lynne beim zigsten Sterbevorgang oder dem naiv-treuen Hündchen Rakete, das Einbrecher wie Frauchen gleichsam „WILLKOMMEN!“ heißen möchte...
Dass das Rätsel um Sissel und sein verschwundenes Gedächtnis so zum Weiterspielen motiviert, liegt neben der charmant-harmlosen Aufmachung natürlich am erfrischenden 4-Minuten-vor-den-Tod-Gameplay. Der totgeglaubte DS-Touchscreen blüht hier nochmal richtig auf - durch den eingeschränkten Bewegungsradius in der Geisterwelt sind genauso clevere Manipulationsmanöver nötig, wie für die Rettung der vielen Todesopfer. Natürlich ist das handlungsfokussierte Adventure wie auch Takumis Ace Attorney-Reihe nichts für kurze Mittagspausen und seine typischen Gamer, die von Textboxen Juckreiz kriegen. Ein paar Mankos, wie lediglich ein Speicherplatz, wenige frustrierende Rätsel und die starke Linearität mildern unser Urteil aber nicht: „Ghost Trick“ ist wie ein packender Krimi, der erst nach Sichtung der epischen Auflösung loslässt.
Könnte schwören, dass sich der Maus-Cursor gerade bewegt hat: Jakob Nützler [Miroque] für PlanetDS.de
Vielen Dank an Nintendo für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplares.
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Details
Spielname:
Ghost Trick: Phantom-Detektiv
Publisher:
Capcom
Developer:
Capcom
Genre:
Adventure
Release:
14.01.2011 (erschienen)
Multiplayer:
nicht vorhanden
Altersfreigabe:
Frei ab 6 Jahre
Screenshots:
 ScreenViewer öffnen (65)
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